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Jahresthema 2016: Frauen gestalten Kirche

Elisabeth Raiser

Zu unserem Jahresthema „Frauen gestalten Kirche“ führten wir ein Gespräch mit Elisabeth Raiser. 1940 in Zürich geboren, studierte sie Geschichte und Romanistik in Hamburg und Tübingen, promovierte 1969 über ein geschichtliches Thema und war Lehrerin für Geschichte und Französisch. Seit März 1967 ist sie mit dem ehemaligen Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (1993 – 2003), Konrad Raiser, verheiratet und hat vier Söhne. Sie lebt seit 2004 mit ihrem Mann in Berlin.

Elisabeth Raiser engagierte sich in verschiedenen kirchlichen Zusammenhängen, so unter anderem bei OikoCredit, einer Genossenschaft, die mit dem Kapital ihrer Mitglieder Partnerorganisationen in Entwicklungs- und Schwellenländern finanziert, und im Ökumenischen Forum christlicher Frauen in Europa, einem internationalen Netzwerk von Frauen verschiedener christlicher Kirchen. Von 2001 bis 2007 war sie Mitglied im Vorstand des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentags und beim ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 dessen evangelische Präsidentin. Von 2010 – 2015 hatte sie den Vorsitz der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste inne. Elisabeth Raiser ist im Beirat des Projekts BIBEL IN GERECHTER SPRACHE.

Gemeindeblatt (GB) - Gestalten Frauen Kirche anders?

Raiser (R) - So wie ich es erlebt habe, haben Frauen in der Mehrheit einen viel partizipatorischeren Stil. Frauen sind in der Regel teamfähiger. In der Regel - es gibt wunderbare Team-Männer, die alle Beteiligten einbeziehen. Trotzdem würde ich sagen, meiner Beobachtung nach sind Frauen eher bereit, Gemeindeglieder oder auch andere zu beteiligen – ich kenn das von Aktion Sühnezeichen / Friedensdienste oder vom Kirchentag, die ja auch ein Teil der Kirche sind -; Frauen sind im Führungsstil weniger autoritär. Das halte ich für einen großen Wert. Sie bringen natürlich oft auch eine gewisse Wärme in die Sitzung, wenn etwas entschieden werden muss. Ich habe oft erlebt, dass Frauen das Menschliche sehr stark sehen, wogegen Männer oft eher strukturell denken. Die Frauenkultur ist eine andere Kultur. Ich glaube, dass das durch unsere Sozialisation beeinflusst ist. Wir haben als Mädchen schon unsere kleineren Geschwister betreut, in der Schule haben wir uns um die schwächeren Schüler gekümmert, oder wir haben die Feste organisiert.

GB - Wo hatten Sie es als Frau in Ihren Funktionen leichter, wo schwerer?

R - Ich weiß nicht, ob das mit meinem Frausein zu tun hat. Ich habe es so gut wie nie erlebt, dass jemand mir nicht offen begegnet ist, wenn ich ein Anliegen hatte. Ich habe eigentlich immer erlebt, dass alle, ob es Männer oder Frauen sind, zunächst erstmal offen und freundlich und zugewandt reagieren, sodass man zunächst erstmal das Problem oder seinen Vorschlag ganz unbefangen äußern kann. Ich erinnere mich an zwei Ausnahmen: das eine Mal hat mir ein Mann in einer öffentlichen Sitzung dazwischen gerufen. „Sie missbrauchen Ihr Amt als Vorsitzende.....“ Das hat mich ziemlich geärgert und ich habe es mir nicht gefallen lassen.

Schwerer hatte ich es - das muss ich jetzt wirklich in der Vergangenheit sagen, das kann ich nicht für die Gegenwart sagen -, bei meinen Anfängen in kirchlicher Verantwortung, beim Kirchentag oder als Mitglied in der Synode in Westfalen, - das ist lange her, so vor 35 Jahren – , da war es oft so, dass ich die einzige Frau war. Das fand ich schwierig, die einzige Frau in einem Gremium zu sein. Man wird auf der einen Seite ein bisschen ritterlich behandelt und auf der anderen Seite nicht ernst genommen. Aber das hat sich inzwischen verändert! Es kommt ja kaum mehr vor, dass man als einzige Frau in irgendeinem Gremium ist.

GB - Bewirkt der Umstand, dass Sie als Frau in einem Bereich arbeiteten, Veränderungen in Ihrem Tätigkeitsbereich?

R - Ja, das glaube ich schon. Aber auch da finde ich es schwierig zu entscheiden, ob es daran liegt, dass ich eine Frau bin oder daran, dass mir Ideen gekommen sind, die auch ein Mann hätte vortragen können. Und die man dann Gott sei Dank auch durchgesetzt hat, zu meiner Freude.

Wenn man Vorschläge macht, die mit Arbeit verbunden sind, kriegt man sehr oft erstmal ein Nein und muss lange dafür kämpfen. Beim Kirchentag hatte ich ein Erlebnis – da war ich im Finanzausschuss, als ich Präsidentin war – und hab gefragt: „Wie legt ihr eigentlich euer Geld an?“ Da kam heraus, dass es nicht eine einzige ethisch verantwortbare Anlage gab. Natürlich, die Regel war, dass das Vermögen nicht geringer werden darf, denn man lebt von den Zinsen – heute ja nicht mehr, damals schon -. Das war das oberste Gebot. Das verstehe ich auch. Aber ich fand, als kirchliche Bewegung können wir es uns nicht leisten, dass wir all unser Geld nur in Gewinn bringende Anlagen legen und nicht darauf achten, ob das eigentlich den Menschen dient. Und dann haben wir erreicht, dass wenigstens ein ganz kleiner Prozentsatz in ethischen Anlagen angelegt wird. Wir haben dabei dann nichts verloren, aber das war ganz schwierig durchzusetzen. Damals habe ich gedacht, das hängt vielleicht mit meinem Frausein zusammen, so in dem Sinn: „Sie ist unsere Präsidentin und sie ist nett, das können wir ihr doch nicht abschlagen – also 5 %.“ Eine Mischung aus ritterlich und paternalistisch. Aber ich habe wenigstens etwas erreicht.

GB - Erleben Sie Solidarität als Frau?

R - Ja, Solidarität erlebe ich sehr viel. Eigentlich auf der ganzen Linie. Auch von den männlichen Kollegen habe ich immer sehr viel Solidarität erlebt. Auch von anderen Frauen. Ich hatte Gott sei Dank nicht das Problem von Frauen in Führungspositionen, die von andern Frauen als Konkurrentin angesehen und behandelt wurden. Das ist mir kaum je passiert.

GB - Haben Sie Visionen – wohin sollte Kirche sich entwickeln?

R -Ernst Lange, den ich sehr bewundert habe, hat gesagt, auch Bonhoeffer hat es gesagt, und viele Frauen sagen es: „Die Kirche ist für die Welt da und nicht für die Kirche.“ Ich hab immer noch das Gefühl, dass die Kirche zu sehr in ihren Kirchenmauern bleibt. Meine Vision von Kirche ist, dass sie viel präsenter in den Straßen ist, in Einkaufszentren. Die Baptisten machen das ja. Sie gehen z.B.in die Wilmersdorfer Arkaden und sind einfach präsent. Das imponiert mir sehr. Wir kennen das auch vom Kirchentag, wo ja viele Menschen hinkommen, die eigentlich gar nicht so der Kirche zugehören oder die nicht aktive Gemeindeglieder sind und die dann doch sehr gern die Seelsorgeangebote annehmen, die sehr gern in den Raum der Stille kommen, die sehr gern Gespräche führen wollen, die sogar an den Gottesdiensten und den Bibelarbeiten teilnehmen. Also, da sieht man, dass das Bedürfnis nach Spiritualität ganz stark da ist.

Wie ich die Gemeinden erlebe - es gibt ja auch Ausnahmen -, die sind sehr auf sich bezogen. Sie sind wie ein geschlossener Raum. Wir haben jedoch zum Beispiel in der internationalen Gemeinde in Genf erlebt, dass es auch anders sein kann. Als ich zum ersten Mal dorthin kam, wurde ich sofort aufgefordert, mich am Ende des Gottesdienstes vorzustellen. Das war mit allen Gästen so. Danach wurde man ins Gespräch gezogen, sodass man sich sofort willkommen geheißen fühlte. Das habe ich in hiesigen Gemeinden nicht erlebt. Sondern da geht man rein in den Gottesdienst, dann geht man raus, der Pfarrer gibt einem die Hand. Wenn man sich nicht vorstellt und dem Pfarrer sagt, „Ich bin jetzt neu, ich würde gern ein bisschen von der Gemeinde erfahren“, dann passiert meist nichts. Und das finde ich schade.

Meine Vision ist, dass die Gemeinden sich stärker öffnen. Wobei ich auch glaube, dass die Kirche noch viel ehrenamtlicher werden könnte. Wir haben das Glück, dass wir eine Kirche haben mit ordentlich bezahlten Pfarrern und Mitarbeitenden. Das ist ja sehr gut und wichtig. Auf der anderen Seite haben wir in der Ökumene z.B. in Neuseeland Kirchen erlebt, wo es in einem Bezirk so groß wie der Kirchenkreis Charlottenburg nur einen einzigen angestellten Geistlichen gibt, der die ehrenamtliche Arbeit der aktiven Gemeindeglieder koordiniert und leitet. Die Gottesdienste in den einzelnen Kirchen werden von Ehrenamtlichen gehalten. Es ist unglaublich, wie lebendig das sein kann. Die Predigerinnen und Prediger bringen ihre Erfahrungen mit aus ihren Berufen oder ihrem Alltagsleben und haben häufig noch einen anderen Blick auf die biblischen Texte als die ausgebildeten Theologen. Bei uns würde ich mir in der Beziehung eine größere Öffnung erhoffen, es könnte die Pfarrerinnen und Pfarrer ja auch entlasten. Ich glaube, dass könnte eine große Bereicherung sein. Ich will nicht sagen, dass ich das die bessere Kirche finde. Aber wir haben gesehen, dass das auch lebbar ist - dass eine solche Kirche nicht zusammenbricht, sondern dass sie durchaus lebendig ist. Natürlich immer mit der Maßgabe, dass die biblischen Texte in der Predigt schriftgemäß ausgelegt werden. Wir können in der Ökumene viel voneinander lernen.

Das Gespräch mit Elisabeth Raiser führten Gisela Krehnke und Dorothea Braeuer.

Letzte Änderung am: 24.09.2016