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Monatsspruch November 2016

Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.” (2. Petrus 1,19)

Liebe Leserin, lieber Leser!

Manchmal spüre ich, dass ich doch erst noch am Ankommen bin. So wie neulich, als ich durch die Teutonenstraße geradelt bin und dort die Gedenktafel für Jochen Klepper sah. Ich bin sicher, Sie wussten, dass er hier gelebt hat, dass er in unserer Nachbargemeinde verheiratet wurde, dass seine jüdische Frau dort getauft worden war, dass die Familie dort auf dem Friedhof liegt. Ich wusste es nicht. Jochen Klepper war Theologe, Journalist und Dichter. Viele seiner Gedichte sind vertont. In unserem Gesangbuch zählt er neben Martin Luther und Paul Gerhardt zu den bekanntesten Liederdichtern. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten begann für ihn eine Zeit voller Einschränkungen und Bedrohungen.

Er war mit einer jüdischen Frau verheiratet, die zwei Töchter mit in die Ehe brachte. Als klar wurde, dass die Deportation der jüngsten Tochter Renate unmittelbar bevorstand, ging Jochen Klepper im Dezember 1942 gemeinsam mit seiner Frau und Renate in den Tod. Eine Gedenktafel und ein Stolperstein erinnern daran.

Wenige Jahre zuvor hat er ein Gedicht geschrieben, das unter der Nummer 16 in unserem Gesangbuch steht:

Die Nacht ist vorgedrungen, / der Tag ist nicht mehr fern. / So sei nun Lob gesungen / dem hellen Morgenstern! / Auch wer zur Nacht geweinet, / der stimme froh mit ein. / Der Morgenstern bescheinet / auch deine Angst und Pein.

Es ist das vielleicht dunkelste Adventslied in unserem Gesangbuch – und mir das liebste. Eigentlich ist der November der falsche Monat, um über ein Adventslied zu schreiben. Ich bin eine große Verfechterin des Leitsatzes „Advent ist im Dezember!“ (auch wenn er in diesem Jahr bereits am 27. November beginnt...). Ich finde es wichtig, jeder Zeit im Kirchenjahr ihre eigene Prägung zu lassen. Der November hat ein anderes Gesicht als der Dezember. Es ist eines voller Schatten. Der Kerzenglanz der Adventszeit ist noch weit. Das Kirchenjahr geht zu Ende und Jahr für Jahr dringen der kühle Nieselregen und die Schwermut dieser Jahreszeit uns in die Knochen. Es ist ein Monat der Stille. Auch: des Abschieds. Am Ewigkeitssonntag nennen wir noch einmal die Namen all derer, die im vergangenen Jahr gestorben sind. Und: wir blicken über den Horizont hinaus, auf ein noch weit entferntes Morgen, in dem es keinen Schmerz, keine Traurigkeit mehr geben wird. Mir ist das wichtig: Diese Wochen der Stille. Dem Düsteren Raum zu geben und der Traurigkeit. Denn all das gehört ja zu unserem Leben und findet viel zu oft keinen Ort, keine Zeit.

Doch Dunkelheit wäre kaum zu ertragen ohne das beharrliche Glimmen der Hoffnung. Der Monatsspruch für den November greift das in wunderbar poetischen Worten auf: Er spricht von einem Licht, das an einem dunklen Ort scheint, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. Der Verfasser des 2. Petrusbriefes, von dem diese Worte stammen, ist überzeugt, dass dieses Licht in den Worten der Propheten aufleuchtet. Die Propheten haben nicht davor zurückgescheut, Dunkelheiten und Missstände klar zu benennen. Zugleich haben sie uns einige der größten Hoffnungsworte unserer Bibel geschenkt. Denken wir nur an Jesaja: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“ Nur wer Dunkelheit kennt, kann überzeugend vom Licht erzählen. Nur wer Traurigkeit und Schmerz selbst erfahren hat, kann wirklich trösten. Vielleicht ist das der Grund, warum mich die Texte Jochen Kleppers so berühren und warum ich dieses Adventslied auch schon im November singen kann. Inmitten einer Situation, die von Tag zu Tag schwerer ertragbar wurde und aus der er letztlich keinen Ausweg fand, dichtete er Worte, die es licht werden lassen.

Noch manche Nacht wird fallen / auf Menschenleid und -schuld. / Doch wandert nun mit allen / der Stern der Gotteshuld.

Sonja Albrecht

Letzte Änderung am: 26.03.2019