Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. (Psalm 42,3 )
Sitt. Kennen Sie dieses Wort? Vermutlich nicht. Es ist das Äquivalent zu „satt“. So wie satt den Zustand des gestillten Hungers beschreibt, so fehlte im Deutschen ein Wort für jenen Zustand, wenn der Durst gelöscht ist.
Und so haben der Duden-Verlag und ein Tee-Hersteller im Jahr 1999 zu einem Ideenwettbewerb eingeladen. Sie suchten nach einem neuen Wort – mit großer Resonanz übrigens. Es gab mehr als 100.000 Einsendungen!
Es war übrigens nicht der erste Versuch, einen Gegenpart zu „satt“ zu etablieren. Bereits 1993 hatte die Gesellschaft für deutsche Sprache die Bevölkerung aufgerufen, sich an einem entsprechenden Sprachspiel zu beteiligen. Die Ideen wie „trinksatt“, „gelabt“ und „gestillt“ setzten sich jedoch nicht durch. Daher der erneute Versuch, als dessen Gewinner sich das Kunstwort „sitt“ gekürt wurde. Doch auch dieses Wort setzte sich im Sprachgebrauch nicht durch. Das ist nicht weiter überraschend, denn: so funktioniert Sprache nicht. Dass ein willkürlich und künstlich von einigen Wenigen festgelegtes Wort keinen Fuß fassen konnte, verwundert eigentlich nicht. Sprache ist basisdemokratisch. Und die Basis hat dieses Kunstwort nie erreicht.
Im Übrigen fehlt nicht nur im Deutschen ein Begriff für den Zustand des gestillten Durstes - auch in den meisten anderen Sprachen gibt es diesen nicht. Das Schwedische kennt das Wort otörstig, das wörtlich übersetzt „undurstig“ bedeutet. Man trinkt sich dort undurstig (dricka sig otörstig) und ist manchmal auch satt und undurstig (mätt och otörstig). Analoge Begriffswörter existieren in den anderen skandinavischen Sprachen – dänisch utørstig, norwegisch utørst, utyrst und isländisch óþyrstur und färöisch ótystur – allerdings sind diese Worte eher selten und oft unbekannt.
Warum dies so ist, weiß ich nicht. Denn Durst ist ein derart elementarer, immer wieder begegnender Zustand, dass es doch eigentlich ein Bedürfnis sein müsste, seine Abwesenheit in Worte fassen zu können. Denn mehr noch als Nahrung brauchen wir als Menschen Wasser. Können ohne Wasser nur wenige Tage überleben. Unser Durst: er kommt immer wieder, kann quälend sein und in den Wahnsinn treiben. Durst ist ein Gefühl, das jeder Mensch kennt, manche, wie wir, nur als vorübergehende Erscheinung, leicht unangenehm; in anderen Teilen der Welt wird Durst jedoch als lebensgefährlicher Dauerzustand erfahren. Schon seit längerem vermutete man, dass die Kriege der Zukunft sich (auch) um den Zugang zu (sauberem) Wasser drehen werden, es in manchen Gegenden schon längst tun.
Der Durst hat viele Facetten und wird immer auch im übertragenden Sinn gedeutet. Wir dürsten nicht nur nach Wasser, sondern nach so Vielem mehr. Wie geht es Ihnen: Wonach dürsten Sie? Was brauchen Sie so dringend, dass Sie ohne kaum leben könnten?
Der Sommer ist eine gute Zeit, dem mal nachzuspüren. Zum einen, weil der Durst allgegenwärtig ist: an einem heißen Sommertag beherrscht er unsere Gedanken. Aber auch die Natur, die uns umgibt, dürstet: Pflanzen, Straßenbäume, die in Mitleidenschaft gezogenen Wälder – zu wenig Regen. Sitt war unsere Flora schon lange nicht mehr…
Aber noch aus einem andere Grund ist der Sommer eine gute Gelegenheit, den Durst in den Blick zu nehmen. Denn der Sommer ist eine Zäsur, die im besten Fall mit Wochen der Muße, des Eisessens und vielleicht des Reisens unser Jahr in zwei Hälften teilt. Zeit zum Atemholen, Auftanken, Kraftschöpfen. Dem, was im Trubel des Alltags zu kurz kommt, Raum zuzugestehen. Was tut wirklich gut? Was brauchen wir? Wonach dürsten wir?
Für den Beter des 42. Psalms, aus dem der Monatsspruch für den Juli stammt, ist die Antwort klar: er dürstet nach Gott. „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.“ In diesen Worten wird schon deutlich: es ist kein fröhlich dahin plätscherndes Gebet, sondern der Beter schreit zu seinem Gott, voller Dringlichkeit. Er braucht Gott zum Leben.
Wir spüren dieses Bedürfnis nach Gott oft weniger dringend. Aber in Ausnahmesituationen, da geht es uns wie dem Beter des Psalms. Da spüren wir: ohne die Hilfe Gottes kommen wir nicht weiter.
Wie gut, wenn wir dann auf eine Art Urvertrauen zurückgreifen können, so wie es der Beter des Psalms tut: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“ Er weiß: Gott wird ihm helfen. Auch wenn dieses Wissen mehr Hoffnung und Vertrauen als wirkliches Wissen ist, kann es doch helfen, auch schwierige Situationen gut zu überstehen. Und sich danach auch wieder voller Freude dem zuwenden, was an Schönem auf uns wartet.
Und so wünsche ich Ihnen allen, dass Sie in diesen Sommerwochen Zeit und Raum finden für das, wonach Sie dürsten, für das, was Ihnen wirklich wichtig ist. Ich wünsche Ihnen, dass Sie die Schönheit der Sommerwochen genießen können und sich an ihnen einmal so richtig sitt trinken können.
Seien Sie behütet!
Ihre Sonja Albrecht