Ihr seid von Gott gekauft worden. Lasst euch nicht von Menschen versklaven. (Übersetzung von Luise Schottroff, 1. Korinther 7, 23)
Die Versklavung von Menschen aus Völkern, die die Römer einst erobert hatten und ein Handel mit Sklavinnen und Sklaven, das sind Ereignisse, so dachte ich im ersten Moment, die weit zurückliegen. Dann erinnerte ich mich an meinen zweiwöchigen Aufenthalt in Bristol, im Südwesten Englands. Es muss einen großen Wohlstand in der Stadt gegeben haben. Wer durch die Innenstadt schlendert, wird auf die Colston Hall, Colston Street und schließlich auch auf ein Denkmal für Edward Colston, der als Wohltäter dargestellt wird, stoßen. Ein Streit um diese Person ist erst in jüngster Zeit entstanden, denn der Reichtum der Stadt ist einst durch den Sklavenhandel geschaffen worden. Bristol war neben Liverpool das Zentrum eines gigantischen Sklavenhandels. Zwischen 1700 und 1800 wurde ein Dreieckshandel aufgebaut, der englische Produkte zum afrikanischen Kontinent lieferte. Von dort nahmen insgesamt über 2000 Sklavenschiffe Männer, Frauen und Kinder nach Amerika, um sie dort gewinnträchtig zu verkaufen. Schließlich nutzten die Händler die Schiffe, damit von Sklaven geerntete Produkte aus der Karibik die bürgerliche Gesellschaft Englands versorgten.
Leider ist der Sklavenhandel kein Phänomen des 18. Jahrhunderts. Häufiger tauchen in Beerdigungsgesprächen Erinnerungen an Zwangsarbeiter in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf. Die damals kleinen Kinder beobachteten Arbeiterkolonnen oder einzelne Gefangene, die auf dem Hof arbeiten mussten oder durch Straßen zogen. Mehr als 20 Millionen Menschen wurden in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten zum „Totaleinsatz“ gezwungen. Zwölf Millionen Menschen, so schätzen die Vereinten Nationen, leben noch heute in einer modernen Form der Sklaverei. Jeder Zweite davon sei ein Kind. Sie sind Opfer von Zwangsarbeit, Menschenhandel und Prostitution, so berichtete es eine Berliner Zeitung, als die Winterspiele in Sotschi in Verruf kamen, weil dort 16.000 Arbeiter rechtlos täglich für Hungerlöhne schuften mussten (Oktober 2013, Tagesspiegel). Als Fußballbegeisterter werde ich unter anderem wegen der Ausbeutung von Gastarbeitern und Fällen von Zwangsarbeit für die Bauten zur Fußballweltmeisterschaft in Katar in zwei Jahren kein Spiel am Bildschirm verfolgen.
Paulus schrieb in einer Zeit der römischen Sklavengesellschaft. Er musste Bilder seiner Zeit nehmen, um zu beschreiben, was es bedeutete, sich dem Gott Israels und Jesu Christi anzuschließen. „Ihr seid teuer erkauft; werdet nicht der Menschen Knechte.“, schrieb er seiner Gemeinde in Korinth, in der vermutlich ein wesentlicher Teil aus Versklavten bestand. Die befreiende Botschaft ist klar: Stellen sich Menschen in die Gemeinschaft mit Christus und dem Gott Israels, so gehören sie ihm und sollen eigentlich nie wieder Objekt, nützliches Ding oder Wertsache eines Menschen werden. Für christliche Sklavinnen und Sklaven, so können wir es Dokumenten der Antike entnehmen, bedeutete das, sich zwischen zwei Herren zu befinden und doch letztlich nicht zwei Herren dienen zu können. Diese Spannung drängte auf eine Veränderung, indem sie Schritt für Schritt die Befreiung als ein von Gott erwirktes Recht ansah. Die Unterschiede wurden im Sprechen und sicher auch im Handeln der urchristlichen Gemeinschaft aufgehoben. Hier ist nicht mehr eine Sklavin neben einer Freigelassenen, keine Frau mehr unter dem Mann, kein Grieche niedriger vor Gott als eine Jüdin, sondern alle sind Teil in Jesus Christus. So argumentierte Paulus und meinte trotz des problematischen Bildes von Gott als Käufer von Sklaven: „Gott hat die Menschen gekauft, aber Gott ist ein Herr von Sklavinnen und Sklaven, der sich grundlegend von den Herren der Welt unterscheidet“ (Schottroff).
Es ist wichtig, dass die christliche Gemeinde immer wieder davon erzählt, dass Menschen zur Freiheit berufen sind, weil sie zu diesem Gott gehören, der Gewaltherrschaft und Entwürdigung zutiefst hasst. In unserer Gemeinde werden Projekte unterstützt, um beispielsweise Mädchen und Kinder vor der Versklavung zu bewahren. Freiheit von politischen Gefangenen wird regelmäßig im Gottesdienst eingefordert, weil ihnen Würde und Recht zustehen.
Die Versklavung des Menschen, wo ist sie nicht zu finden? Wir waren als Pfarrkonvent in der Theodor Fliedner Klinik am Gendarmenmarkt zu Gast. Dort werden u.a. Menschen psycho-therapeutisch behandelt, die aus der Mitte der beruflich aktiven Gesellschaft kommen. Zwei Phänomene haben mir besonders zu denken gegeben, die viele Menschen zunehmend krank machen: Stress und Einsamkeit. Beide scheinen verbunden zu sein. Auf der einen Seite halten viele Menschen die Belastung durch ihre Erwerbsarbeit nicht mehr durch und müssen sich behandeln lassen. Auf der anderen Seite bringen wir nicht ausreichend Zeit auf, die nötig ist, um Glück in Beziehungen zu erleben, um Bindungen zu entwickeln und zu pflegen und das Zusammensein zu feiern. „Alles Leben ist Beziehung“ (Martin Buber) und gelingt nicht durch Effektivität, Dauererreichbarkeit und Leistungssteigerung. „Denkt an den Preis, den Christus gezahlt hat, um euch als sein Eigentum zu erwerben! Macht euch daher nicht selbst zu Sklaven von Menschen!“ (Neue Genfer Übersetzung). Ich bin für die biblische Orientierung sehr dankbar. Ich ahne, dass wir neue Wege finden müssen, um uns nicht von der Technik versklaven zu lassen und um nicht von Menschen ganz und gar überwacht und kontrolliert zu werden, was in manchen Ländern bereits geschieht. Jüdische und christliche Gemeinden können keine Wunder schaffen. Sie erzählen aber von Wundern und von einem Glauben, der Wunder und Glauben bewirkt, sodass jeder Mensch sich durch Gott als frei erfährt und frei leben kann (Frank Crüsemann). Als Christenmenschen werden wir das Menschenbild, wie Paulus es als Freikauf beschreibt, unbedingt verteidigen müssen. Jede Stimme darf und soll vor Gott und den Menschen zu Wort kommen.
Michael Juschka