„Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden.”
Ostern und das Fragezeichen
War das Grab wirklich leer? Ist Jesus von den Toten auferweckt worden? Wie soll ich mir ein Leben nach dem Tod vorstellen? Lauter Fragen! Und mitten im Monatsspruch steht ein fettes Fragezeichen. Niemand, auch nicht der frömmste Christ, kommt um Zweifel und Fragen herum, wenn es um die ungeheuerliche Botschaft des Neuen Testaments geht: „Jesus ist nicht hier, er ist auferstanden.“ Ich kann ein Fragezeichen mitten im Osterevangelium also gut akzeptieren. Kurt Marti begann ein bekanntes Ostergedicht mit Fragen, die er als Theologe nicht beantworten konnte: „Ihr fragt: Wie ist die Auferstehung der Toten? Ich weiss es nicht. Ihr fragt: Gibt’s die Auferstehung der Toten? Ich weiss es nicht. Ihr fragt: Wann ist die Auferstehung der Toten? Ich weiss es nicht.“ Können wir das Fragezeichen auflösen? Wir müssen mit dieser uns immer wieder betreffenden Anfrage leben. Die Auferweckung Jesu bleibt zwar Zentrum christlichen Glaubens, entzieht sich jedoch dem Verstand und wissenschaftlichen Zugriff.
Das Fragezeichen im Monatsspruch ist beinahe frech, jedenfalls tadelnd und setzt unseren Fragen etwas entgegen. In der Ostergeschichte nach Lukas fragen die Frauen nicht: „Wer wird uns den Stein vom Grab rollen?“ Stattdessen werden sie gefragt: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ Lukas bezieht diese Frage selbstverständlich auch auf die mitlesenden und mithörenden Gemeindeglieder.
Die Fragen, die wir als aufgeklärte, nüchterne, manchmal auch resignative Zeitgenossinnen und –genossen an die Auferstehungshoffnung haben, werden durch die Gegenfrage des Monatsspruchs neu ausgerichtet: Wohin seid ihr unterwegs? Sucht ihr den Lebenden oder ist er für Euch vor langer Zeit gestorben?
Wie finde ich Zugang zum Auferstandenen?
Zunächst erzählt das Lukasevangelium von Wegen, die keinen Erfolg haben. Die Frauen finden den Stein weggewälzt und das Grab leer. Als sie das den Aposteln erzählen, halten diese es für Geschwätz. Petrus will sich selbst ein Bild machen, sieht ein offenes, leeres Grab mit Leinentüchern und wundert sich.
Der Evangelist schließt also bereits zwei Wege zum Glauben an Jesus Christus aus. Es gibt keinen Zugang zum Auferstehungsglauben allein durch das Zeugnis anderer und auch nicht durch das Aufsuchen des leeren Grabes in Jerusalem. Wie finden wir Zugang zu dem, den Gott der Schrift nach von den Toten auferweckt hat?
Es ist die Erinnerung an Jesu Botschaft. Jesus wusste, dass Menschen ihn töten wollten. Er hatte davon gesprochen, dass Machthaber sich gegen ihn verbünden würden. Er wusste, dass sie ihn ans Kreuz bringen wollten. Sie würden ihn vor dem Volk als politischen Verbrecher darstellen und ihm keine Würde mehr zusprechen.
Er wusste, dass die Mächtigen sich von Gott entfremdet hatten. Er vertraute darauf, dass Gott dieser Entwürdigung etwas entgegensetzen könnte. Nur drei Tage sollten die Machthaber haben, um sich zu freuen und ihren Coup zu feiern.
Das Lukasevangelium entfaltet in der anschließenden Weggeschichte zweier Jünger nach Emmaus, wie eine Begegnung mit dem lebendigen Christus möglich ist. Die Gemeinde erlebt Jesus Christus lebendig, wenn sie sich erinnert. Das kann beim Lesen und Verstehen der Heiligen Schrift geschehen und beim Feiern des Abendmahls. Das sind die nach wie vor bleibenden Momente der Begegnung.
Ein Fragezeichen an das Vergessen
Plötzlich liebe ich das Fragezeichen. Es fragt mich: Woran erinnerst du dich? Das Fragezeichen im Monatsspruch will kein Vergessen, keine gewollte Amnesie. Das Problem derer, die endlich stolz auf ihre Geschichte und ihre Nation sein wollen, ist, dass sie die Verbrechen gegen die Menschlichkeit auslöschen wollen. Sie hoffen auf das Aussterben der Generation, die sich noch erinnert. Sie hoffen auf eine Umdeutung der Geschichte, weg vom Mahnmal hin zum Gedenken an die Helden. Das Fragezeichen mitten in der Auferstehungsgeschichte weist uns den Weg eines heilsamen Erinnerns. Erinnert Euch! Der eine Unschuldige! Er steht stellvertretend für alle, die Opfer von Macht und Willkür waren, sind und werden. „Aber es kommt eine Auferstehung, die ganz anders wird als wir dachten. Es kommt eine Auferstehung, die ist der Aufstand Gottes gegen die Herren und gegen den Herrn aller Herren: den Tod“, so dichtete Marti.
„Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ bedeutet im Kern, dass wir mit jedem Osterfest Gott loben und preisen, weil er der Entwürdigten und Entehrten gedenkt. Wir feiern Ostern als Gottes Antwort auf das Vergessen, Verdrängen und Leugnen von Unrecht.
Michael Juschka