Monatsspruch März 2019

Porträt Sonja AlbrechtPfarrerin Sonja Albrecht

Wendet euer Herz wieder dem Herrn zu, und dient ihm allein.” (1. Samuel 7,3)

Falls Sie in letzter Zeit in unserer Kirche waren, ist es Ihnen vielleicht aufgefallen: die blaue Holztür, die den Eingangsbereich vom Kirchraum trennt, bleibt geschlossen. Stattdessen betreten wir die Kirche, wenn wir erst einmal durch die große Eingangstür hindurch sind, durch die Glastüren zu unserer Linken, also jene Flügeltüren, die zum „Mahnmalraum“ führen. Das hat ganz praktische Gründe: eine Säule in der Kirche und der Tisch mit den Gesangbüchern machten die Eingangssituation oft eng. Man musste sich aneinander vorbeidrängen – kein schöner Empfang. Daher diese kleine Neuerung. Ich habe mich erst an der verschlossenen Tür gestört.

Aber dann habe ich mich an eine Kirche erinnert, an der ich vorher gearbeitet habe: die Paul-Gerhardt-Kirche in Alt-Schöneberg. An einer der unfreundlichsten Kreuzungen Berlins direkt an der Hauptstraße gelegen, sticht der moderne Bau heraus: viel Beton, fast ohne rechte Winkel gebaut, mit einem Glasfenster, das vom Himmel zu stürzen scheint. Es ist eine Kirche, die Anhänger moderner Architektur begeistert. Alle anderen brauchen oft etwas, um den Charme dieses 60er–Jahre-Baus zu entdecken. Was mich damals für diese Kirche eingenommen hatte, war neben ihrer wunderbaren Akustik der Umstand, wie durchdacht sie gebaut worden ist. Denn dabei wurden nicht nur pragmatische, sondern vor allem theologische Gesichtspunkte berücksichtigt. So will das bodentiefe Fenster zum angrenzenden Friedhof auf die Gemeinschaft von Lebenden und Toten weisen und das zeltartige Dach erinnert uns daran, dass wir wanderndes Gottesvolk sein sollen. Das Durchdachte beginnt beim ersten Schritt in diese Kirche. Wer hier eintritt, blickt auf eine graue Wand. Nur wer seine Blickrichtung ändert, sich um die eigene Achse dreht und sich neu ausrichtet, hat den freien Blick auf den Altar und das hell leuchtende Fenster darüber.

Unsere Johanneskirche ist da ganz anders: auch sie theologisch durchdacht gebaut, aber dabei den Konventionen der Zeit entsprechend. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich mag unsere Kirche sehr. Insbesondere nach der Umgestaltung, die zu einem wie ich finde, sehr gelungenen Mix aus moderner Offenheit und wertschätzender Tradition geführt hat, empfinde ich sie als hell und einladend. Es ist ein Kirchbau, in dem ich gerne bin. Bisher konnte ich diese Kirche durch ihre wunderschönen Holztüren betreten, ohne mich groß wenden zu müssen. Das ist nun anders: betrete ich die Kirche, muss ich mich bewegen. Ich muss die Richtung ändern, bevor ich den Kirchraum betreten kann. Und das finde ich wunderbar! Denn den Wenigsten von uns gelingt es, Gott im Trubel unseres Alltags ganz selbstverständlich und ständig vor Augen zu haben. Wie schnell verfalle ich in einen Trott, tue die Dinge, ohne groß darüber nachzudenken. Wie schnell tue oder denke ich dabei auch Dinge, die anders sind, als Gott das für mich und für unsere Welt will. Und dabei geht es um weit mehr als nur unsere Gefühle, auch wenn der Begriff des Herzens das für uns nahelegt.

Denn wenn der Prophet Samuel davon spricht, dass wir unser Herz wieder Gott zuwenden sollen, dann meint er damit nicht – oder zumindest nicht nur – unsere Emotionen. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass das biblische Körperverständnis ein anderes ist als das unsere. Erst die Philosophen der griechisch-römischen Antike teilten den Menschen quasi in zwei Teile: Kopf und Körper, Seele und Leib, Vernunft und Gefühl. So stellen wir es uns heute noch vor. Doch das war nicht immer so.

Die Autoren des Alten Testamentes stellten sich den Menschen als ein Ganzes vor, das aus vielen Teilen zusammengesetzt ist. Einzelne Körper-Begriffe stehen dabei immer für den ganzen Menschen, jeweils unter einem bestimmten Aspekt. Und das Herz? Es galt den alten Hebräern als Sitz der Vernunft, der Weisheit, des Urteilsvermögens – Funktionen, die wir heute dem Gehirn zuordnen. Der Theologe Rainer Albertz schrieb einmal: "Der Hebräer denkt weitgehend mit dem Herzen."So können wir die Sommerwochen vielleicht wirklich als das genießen, was sie sind: eine Zwischenzeit, die manchmal anderen Regeln folgt.

Was also will Samuel sagen? Seine Worte sind an das Volk Israel gerichtet. Es benötigt Gottes Hilfe. Samuel rät den Hebräern, sich abzuwenden von falschen Göttern und ihre Herzen wieder Gott zuzuwenden – sich also mit ihrem Denken und ihrer Vernunft, mit ihrem ganzen Menschsein für Gott zu entscheiden. Das schließt die Gefühle mit ein, aber es bleibt nicht bei ihnen stehen. Es ist viel, was Samuel vom Volk Israel verlangt. Was das mit uns und unseren Kirchentüren zu tun hat? Wie gesagt: mein Alltag ist oft trubelig. Ist mein Herz, sind also mein Denken und meine vernünftigen Entscheidungen dabei immer auf Gott gerichtet? Sicher nicht. Da tut es mir gut, wenn mich kleine „Stolperstufen“ im Alltag daran erinnern, dass ich mich entscheiden kann, in welche Richtung ich blicken möchte.

Viele Menschen nutzen die gerade beginnende Passionszeit als einen Zeitraum, in dem sie sich Zeit nehmen, über ihr Leben nachzudenken. Manche fasten oder verzichten bewusst auf etwas. Sie hören die alten biblischen Geschichten von Jesu Passion und denken darüber nach. Diese Wochen bewusst zu erleben kann eine Chance sein, etwas, das mich daran erinnert: Ich muss nicht einfach so weiterlaufen, sondern kann ab und an die Blickrichtung ändern. Mich neu ausrichten. Die Kirche ist sicher nicht der einzige Ort, um zu schauen, ob unser Herz noch gut ausgerichtet ist. Aber: sie ist ein guter Ort, um das zu tun. Die geschlossene blaue Holztür, über die ich mich anfangs so geärgert habe, erinnert mich daran.

Ihre Sonja Albrecht

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